Thomas Hartung (D)

Wie steht's um Deutschland

Beobachtungen eines Konservativen


„… 1992 hat Stephan Remmler in Köln auf einem von der Initiative „Arsch huh, Zäng ussenander“ veranstalteten Konzert noch gesungen „Mein Freund ist Neger“, um zur Verbundenheit mit Menschen anderer Hautfarbe aufzurufen. Heute ist das Wort in Sachsen Grund für die Einleitung rechtlicher Schritte und das Einstampfen/Neudrucken einer fünfstelligen Zeitungsauflage ungeachtet aller Bekenntnisse zum Umweltschutz. Das ganze Problem hätte sich nicht gestellt, hätte man gefragt nach einem verstorbenen Mainzer Karnevalisten, einem Nebenfluss der Ruhr, einem Stadtteil von Olpe, einem Ein-Mann-Torpedo der deutschen Kriegsmarine oder einem Biermischgetränk. Was ist da nur schiefgelaufen?...“ (aus „Neger sind keine Lösung“) 

Es läuft manches schief in Deutschland: die sprachliche Korrektheit treibt unsägliche Blüten, der Nazi-Begriff wird gegen Sachsens Polizei gerichtet und dadurch entwertet, die Mainstreammedien etablieren interkulturelle Beziehungen als neuen Sozialstandard. 

In seinen „Beobachtungen eines Konservativen“ spürt Thomas Hartung den Themen und Ereignissen nach, die zu dieser Schieflage führten, klärt auf und ruft dem Leser mit Heiner Müller zu „Schlagt euch nicht die Schädel ein, zerbrecht euch lieber den Kopf!“


Buch

Wie steht's um Deutschland – Beobachtungen eines Konservativen

Thomas Hartung (D)

Buch, Softcover, 392 Seiten, 21 x 14,8 cm, 1. Auflage, Deutsch, erschienen: 08.03.2019, ISBN: 978-3-906212-46-3

Wie steht's um Deutschland (Buch, Softcover)

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Autor

Dr. Thomas Hartung (*1962 in Erfurt) promovierte nach seinem Lehramtsstudium in Magdeburg 1992 zur deutschen Gegenwartsliteratur und war danach erst jahrelang als Radio- und Fernseh-Journalist in Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie über 32 Semester als freiberuflicher Dozent für Medienproduktion und Medienwissenschaft an vielen Hochschulen Deutschlands tätig. Eine Professur blieb ihm verwehrt. 

Der bekennende „Erzliberalkonservative“ trat als Student in die LDPD ein und 1990 aus der FDP aus: von „misslungener Einheit“ nicht nur mit Blick auf die Parteienfusion spricht er bis heute.

Hartung war im April 2013 Mitbegründer der AfD Sachsen und wurde zweimal zum Landesvize gewählt. Als Presse- und PR-Chef verantwortete er alle Publikate von der Pressemitteilung bis zum Fernsehspot und damit auch maßgeblich den Landtags- und vor allem den Bundestagseinzug des Landesverbands als stärkste Kraft vor der CDU. 

Vor der Spaltung des PEGIDA-Teams 2015 schrieb er auch für Katrin Oertel, die als erster „Wutbürger-Talkgast von Günter Jauch bekannt wurde. Hartung ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter für Bildung, Wissenschaft, Medien und Kultur der AfD-Fraktion im sächsischen Landtag und Sprecher der „Alternativen Mitte“ Sachsen.


Inhalt

Vorwort von Erika Steinbach

 

1. Kultur und Gesellschaft

  • Dichten ist Herrschen“
  • Die Politisierung der Kunst“
  • Eine neue Sonnenreligion stiften“
  • Gäste verwöhnen statt Kinder erziehen“
  • „Kinder, lasst mich alleine sterben...“
  • Neger sind keine Lösung
  • „Nicht nach der Lüge leben“
  • Deutsche Identität – undeutsche Sprache? oder Wandel der Sprachkultur. 

2. Sachsen

  • „APO von rechts“
  •  „…demnächst in Brauntzen umbenennen“
  • Kunstgeschunden statt kunstgeprägt: 
  • Dresdner Neumarkt
  • „Wir beziehen eine klare Position“
  • (Kein) Recht am eigenen Bild
  • „Odins Rabe als Gesinnungslogo“
  • Wenn „Judenlettern“ plötzlich„Nazi“ sind
  • „Wir schulden den Afrikanern und Arabern nichts“
  • Zwischen „Gesinnungsdiktatur“ und „Pauschal-
  • Alarmismus“: die „Charta 2017“

3. Medien

  • Wie aus Islamisierung plötzlich Nazifizierung wird
  • Der rote Elvis
  • Ein Herz für... Flüchtlinge
  • „Fotografieren ist rassistisch“
  • „Ich werde mich freien von Sie zu huren“
  • Wenn Stadtflucht als Demokratieflucht gilt
  • „Walhalla, ich komme“
  • „Wenn alle untreu werden“

4. Politik

  • Die Crux der Generalisierung
  • Die erste Tafel trotzt  
  • Nicht die Hand Gottes 
  • „Ein Land in Narrenhand“
  • Ein „Aufruf zur Denunziation“?
  • Realität als linke Überforderung
  • Vernichten ist billiger als spenden 
  • Revolution? Trotz alledem!

5. Bildung

  • Europas IQ sinkt
  • Wenn Kompetenz Bildung schlägt
  • Mit Kopf, Herz, Hand – und Fuß
  • „geduldete Kindesmisshandlung“
  • „Das ist vorauseilender Gehorsam“

 

6. Genderismus

  • Deutschland scheißt sich ab
  • „Herr Professorin“ trifft noch nicht auf„Kolleg*innen“ 
  • „Ich habe Liebe für die Trans-Community“
  • „…couragiert mit Herz und Hand“

 

7. Agrarwirtschaft

  • „Besaufen können wir uns noch“
  • „Ich bin kriminell und fühl‘ mich wohl dabei“
  • „Natürlich geht mehr!“
  • „Man kann Übergewicht nicht wegbesteuern“

 

Zum Autor

Buchtipp



Leseprobe

Wenn "Judenlettern" plötzlich "Nazi" sind

 

Als "Nazi" werden Teile von Sachsens SEK-Logo diffamiert. Es folgen Shitstorms statt Debatten, die auch die Truppe treffen. Die FAZ ärgert sich, das Innenministerium ebenso – und kapituliert trotzdem.

 

Otto von Bismarck soll oft Bücher zum Geschenk erhalten haben. Waren sie nicht in Fraktur gedruckt, gab er sie zurück mit der Begründung: „Ich lese keine deutschen Bücher, die mit lateinischen Buchstaben gedruckt sind.“ Heute soll Sachsens Innenminister nach dem Willen linksgrüner Geschichtsanalphabeten am besten ein komplettes Dienstfahrzeug an den Hersteller „Rheinmetall“ zurückgeben – weil es ein Logo mit zwei in Fraktur gesetzten Wörtern aufweise. Die journalistische Geschichte, die keine ist, sondern „eine Luftnummer“, die „vor Böswilligkeit, Unkenntnis und Vorurteilen“ strotzt, wie Alexander Will von der Oldenburger Nordwest-Zeitung richtig erkannte, ist einerseits so hanebüchen, dass sie andererseits als Menetekel der Abgründe ahistorischer Ideologisierung selbst simpelster Fakten dienen mag.

 

Was begab sich? Der Chefredakteur des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer, Andreas Raabe, twittert in der Vorweihnachtswoche ein schon vor Tagen in Zeitungen gedrucktes Agenturbild von der Inbetriebnahme des neuen sächsischen Antiterrorpanzers „Survivor R“, genauer: der Lehnen der Panzersitze mit einem historisierend gestickten Logo. Darauf zu sehen ist je ein gekröntes und von zwei Löwen gehaltenes sächsisches Wappen, umringt von einem Lorbeerkranz und stilisierten Adlerschwingen, oben und unten gerahmt mit dem Schriftzug „Spezialeinsatzkommando“ und „Sachsen“ - jeweils in einer gebrochenen, frakturähnlichen Schrift. Raabe versah seinen Tweet mit dem Spin „Fast wie früher ... fehlen nur Adler und Kreuz.“

 

Das saß. Die mediale Aufregung überraschte selbst den Urheber, der bis dato gerade 120 Follower hatte und auf seiner Homepage protzt: „Als Kind war ich vorbildlicher Jungpionier. In meiner Jugend habe ich Häuser besetzt.“ Im Onlineauftritt seines Mediums beschreibt er die Geschehnisse hinterher so: „Zwei Stunden später hat Jan Böhmermann meine Nachricht retweetet und am nächsten Tag war die Geschichte Top-Meldung bei Spiegel-Online („Der Fall Survivor R“) und meistgelesener Beitrag auf www.tagesschau.de. Außerdem wurde der sächsische Innenminister gefeuert, was aber vermutlich eher eine Koinzidenz war.“ Stimmt, Markus Ulbig (CDU) stand seit Monaten in der Kritik. 

 

Der Shitstorm aus Helldeutschland entzündete sich an zwei Dingen: an der Verwendung der frakturähnlichen Schrift, und am Logo, das „stark an die Ästhetik des Nationalsozialismus“ erinnere, so der SPIEGEL. Die Adlerschwingen seien weder mit denen des Bundesadlers noch des Reichsadlers zur Kaiserzeit identisch - aber sowohl der Parteiadler der Nazis im NSDAP-Logo als auch der diesem angeglichene Reichsadler verfügten über horizontal ausgebreitete Schwingen. 

 

Der Shitstorm entzündete sich aber auch am Subtext des „furchterregenden Gefährts“, so die taz. Das Blatt interpretierte „das Gegenteil einer Polizei, die auf Deeskalation und demokratische Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols ausgerichtet ist. Wer den Survivor schickt, setzt schon rein atmosphärisch auf Eskalation, Macht und Gewalt“. Die Atmosphäre zum Hamburger G-20-Gipfel oder zum Berliner Weihnachtsmarktanschlag von Anis Amri thematisierte die taz selbstredend nicht. 

 

Fraktur, Adler, neuer Panzer… all das nur wenige Wochen nach dem Skandälchen um „Odins Raben“ auf der Uniform eines sächsischen SEK-Beamten: „Sachsen? Die Polizei? Gar noch das SEK? Ein Nazi-Logo? Muss stimmen, her mit der Geschichte!“, verspottet Alexander Will die Haltung vieler Kollegen zwischen Kiel und Kempten. Oliver Reinhardt verallgemeinert in der Sächsischen Zeitung: „Sobald sich zwischen Zittau und Plauen etwas zuträgt, was in den Nasen geruchsempfindlicher Aufpasser nach ‚rechter‘ Kontaminierung staatlicher Institutionen duftet, kann man sicher sein: Es kommt an die große Presseglocke.“ Genau an dieser Stelle aber muss man fragen, ob man es bei den Profi- wie auch den Laien-Kommentatoren mit Bosheit oder Dummheit oder beidem zu tun hat …

 

Triggerst du mich, verpfeif‘ ich dich! 

 

Die FU Berlin will mit einer „Gender-Toolbox“ Diskriminierung im Lehrbetrieb vermeiden. In Göttingen hängt das Studentenwerk „sexistische“ Malerei ab. Wie Gefühle die akademische Sphäre zerstören.

 

„Frau Walter ist Mitarbeiterin im Fachbereich 36“ statt „Mitarbeiter“ oder „Personen, die sich bewerben, sollen...“ statt „Bewerber sollen...“ – das sind Formulierungsvorschläge einer „Toolbox für Gender und Diversity in der Lehre“. Entwickelt hat sie das „Margherita-von-Brentano-Zentrum für Geschlechterforschung“ an der FU Berlin, um „Lehrenden“ zu helfen, Diskriminierung im Unterricht [sic!] zu vermeiden. Sie zu nutzen ist freiwillig: ein Versuch, „Gender-Erkenntnisse“ in die Praxis umzusetzen. Auf der Website des Projekts gibt es ein Zeichentrick-Erklärvideo und Tipps, wie der Unterricht [sic!] so gestaltet werden kann, dass niemand sich ausgeschlossen fühlt. 

 

Nicht ausgeschlossen fühlen: eine neue Machtphrase, die seit einiger Zeit den Anschein weckt, dass ihr gerade an Universitäten unter allen Umständen entsprochen werden muss. Das Verb ist das Problem: „Ich fühle mich (verletzt, diskriminiert, benachteiligt…)“ heißt eben nicht „Ich bin anderer Meinung“. Prompt geht es dann nämlich um Befindlichkeit und nicht um den Austausch von Argumenten. Das aber widerspricht der Universität als akademischer Ort, als Raum, in dem es nicht nur darum geht, was gedacht wird, sondern auch wie, kritisch nämlich; als Raum, in dem grundsätzlich jede Position verhandelt werden kann. Dazu gehört auch, eigene Überzeugungen immer wieder herauszufordern, zu hinterfragen, Reibungen und Dissens zuzulassen. 

 

Ausdruck dieser ambivalenten Kuschelmentalität ist u.a. eine Stellungnahme von Studenten der Berliner Alice-Salomon-Hochschule, die in die Schlagzeilen geriet mit einem Skandälchen um ein überlebensgroß auf der Hochschulfassade angebrachtes Gedicht konkreter Poesie von Eugen Gomringer: es wecke die „Erinnerung daran, dass objektivierende und potenziell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können“. Da die Studenten „auch sehr differenziert mit Geschlechterkonstruktionen umzugehen“ lernten, stelle sich die Frage, ob dann ein Gedicht an der Fassade stehen müsse, „das dieses Thema so bewusst vereinfacht“, fragt Prorektorin Bettina Völter in der „BZ“. Ihre Haltung, das vorgeblich sexistische Gedicht zu entfernen, bekräftigten die jungen Menschen damit, ein „komisches Bauchgefühl im eigenen Haus“ zu haben. 

 

„Dieses Bild geht gar nicht“

 

Das lässt tief blicken. Zum einen in die Wahrnehmung der Uni als Zuhause, als Ort, an dem sich alle Studenten wohlfühlen sollen und sich wie Mieter bei der Hausverwaltung beschweren können, wenn ihnen etwas nicht passt. Greg Lukianoff, Jurist und Vorsitzender einer Stiftung, die sich für Meinungsfreiheit auf amerikanischen Campus einsetzt, und Jonathan Haidt, Sozialpsychologe an der New York University, schreiben in „The Atlantic“ von „micro aggressions“: kleinen, unbedachten Worten (und Handlungen), die aber auf den impliziten Teil von Sprache zielen, die Konnotationen, das, was an Bedeutung mitschwingt, an Vorurteilen und Klischees. Das macht es so schwierig, sie zu benennen. Der Präsident des Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, sprach in der WELT von einem gewachsenen  „Erregungspotenzial“, das aus „kleinsten Dingen“, ja „Banalitäten“ eine Riesenwelle werden lasse. Man mag sich als Konservativer prompt sprach-, ja gedankenpolizeilich verfolgt wähnen ...

 

Deutsche Identität – undeutsche Sprache? 

 

Bewusstsein, zumal Identitätsbewusstsein, ist versprachlichtes Denken. Sprache, Identität und Kultur sind untrennbar verwoben. Was macht die Flüchtlingswelle mit unserer Sprachkultur?

 

Erst wenn man sich mit Menschen unterhält, die eine andere Sprache sprechen, erleben wir: was und wie wir als Individuen, Generation, Gruppe oder Nation sind, wird entscheidend von der Art und Weise mitbestimmt, wie wir uns mit Worten ausdrücken. So werden in der Sprache der Inuit auf Nord-Grönland Entfernungen nicht in Kilometern gemessen, sondern in „sinik“ - in „Schlaf“; sprich: wie oft musste ich schlafen, um von A nach B zu kommen. In einem Land mit widrigen Klima- und Wetterbedingungen machen Angaben wie „Kilometer“ oder „Stunde“ keinen Sinn. Wer einmal drei Tage im Flughafen von Kangerlussuaq festsaß, weiß das. Geht Sprache als Spiegel von Kultur, Tradition und Lebenswelt verloren, geht unwiderruflich auch Kultur zu Grunde. Mit bedrohten Sprachen ist es wie mit bedrohten Tier- und Pflanzenarten: sind sie erst einmal verschwunden, ist die Welt für immer ärmer geworden. 

 

Dass der grundgesetzwidrige massenweise Zuzug von Menschen aus anderen kulturellen, religiösen und vor allem sprachlichen Kontexten Deutschland und damit auch die deutsche Sprache massiv verändert, ja statt reicher ärmer macht, ist inzwischen unbestritten. Die in unterschiedliche Richtungen denkbaren Hybridisierungsszenarien bewegen sich vom Code-Switching („Kanaksprak“ oder „Türkendeutsch“) über „Entdifferenzierungstheorien“, Ab- bzw. Rückbautheorien zu einer „Alltags-“, „Haus-“ bzw. „Arbeitssprache“ bis hin zu Umbautheorien im Rahmen von Phänomenen wie Pidginisierung und Kreolisierung. „Im Meer der Überfremdung ist Deutschsein die letzte Illusion von Identität“, wusste Heiner Müller schon 1992. Kommt uns unser Deutsch abhanden?

 

Linguistische Einfalt für alle 

 

Uwe Hinrichs meint zunächst, dass Migranten beim Deutschlernen und -sprechen fast zwangsläufig Fehler machten, weil Deutsch eine schwere Sprache sei, aber Muttersprachler mit der Zeit diese zumeist vereinfachenden Fehler langsam in ihren Sprachgebrauch übernähmen. Hierzu gehörten neben einfachen Wortfolgen vor allem Kasus- sowie Artikelfehler: „Was wir nicht zwingend brauchen, lassen wir eben irgendwann weg“. Diese strukturelle Vereinfachung, mit der sich das Deutsche dem Französischen, Englischen und Niederländischen annähere, sei unter didaktischen Aspekten sogar zu begrüßen: „Wer in 30, 40 Jahren Deutsch lernen muss, wird sich wahrscheinlich nicht mehr mit soviel Kasus rumärgern“; für ihn macht der Akkusativ „das Rennen“. Damit dürfte Rudi Kellers Bonmot, wonach die Fehler von gestern die Regeln von morgen sind, Gültigkeit erlangen.

 

Nach Hadumod Bußmann bedeutet das aus dem europäischen Kolonialismus wohlbekannte Phänomen der Pidginisierung die nachhaltige Reduktion von Struktur und Vokabular einzelner muttersprachlicher Systeme beim Aufeinandertreffen von Sprechern unterschiedlicher Sprachen ohne gegenseitiges Sprachverständnis, um eine Verständigung herbeizuführen. Aus diesem Kontaktidiom kann sich eine Mischsprache herausbilden mit stark reduziertem Wortschatz, Tendenzen zu Umschreibung und Metaphorik sowie einer Reduktion des Phonemsystems sowie der Morphologie und Syntax, die als Kreolsprache dann zu einer neuen Muttersprache werden kann; man spricht auch von „doppelter Halbsprachigkeit“. Hinrichs drastisch: „Mächtig ansteigen werden die Varianten des Migrantendeutschs, in denen die Grammatik zurückgefahren wird und das dominiert, was man für die Kommunikation braucht“. Varianten wie „glaubich“ statt „glaube ich“ oder „er ist mehr aufgeregt als sein Kollege“ werden dann normal. 

 

Der SPD-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, geht in seinem neuen Buch „Ich deutsch“ schon mal mit schlechtem Beispiel voran. Wenn Jugendliche sich in „Türkendeutsch, Ghettosprache oder Türkenslang“ verständigten, sei das „eine begrüßenswerte Entwicklung“, weil auch Sprache „auf Kreativität und neue Einflüsse angewiesen“ sei. Das agrammatische „Ich deutsch“ ist also nicht als Witz gemeint, konstatiert ein erboster Thorsten Hinz, sondern soll die Deutschen auf eine Zukunft in sprachlicher, kultureller, ökonomischer Regression vorbereiten: „Denn ‚begrüßenswert‘ wäre die ‚Ghettosprache‘ nur, wenn ihre Nutzer fähig wären, problemlos ins Hochdeutsche zu wechseln. Weil die meisten dazu nicht in der Lage sind, bilden sie das Potential für Parallelgesellschaften und dauerhafte Asozialität.“

Dass mit Zuwanderung auch jede sprachliche Ziselierung zugunsten von Entdifferenzierung verschwindet, liegt auf der Hand: „Durch die Wucht der Einwanderung wird die deutsche Sprache jetzt ohnehin die Reform der Straße zu spüren bekommen“ resigniert Jürgen Stark. Dirk Schümer prognostiziert: „Was uns also erwartet, ist keine Sprachenvielfalt, sondern weniger Schriftlichkeit, geringerer Wortschatz – und mehr linguistische Einfalt für alle“. In dieser linguistischen Zwischenzeit (ob Eis- oder Warmzeit, sei dahingestellt) mit unklarer Perspektive lassen sich – noch? – zwei korrespondierende sprachliche Tendenzen beobachten: eine extranationale von sprachlicher Identitätsqualität hin zur Identitätsverwässerung, und eine intranationale von qualitativer Lebendigkeit hin zu quantitativer, „identitätsloser“ Abstraktheit ...


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